Wer ist Harvey Weinstein… und gibt es noch mehr von ihnen?

Wer ist Harvey Weinstein… und gibt es noch mehr von ihnen?

 

Aus aktuellem Anlass möchte ich mich in dieser Woche ein wenig mit dem Fehlverhalten von Harvey Weinstein beschäftigen. Und in wiefern auch der Heilpraktiker Psychotherapie hiervon betroffen sein könnte.

Ein Grundsatz der Strafrechtes besteht darin, dass es keine Vorverurteilungen geben darf. Wir alle wissen nicht, was Herr Weinstein getan hat, oder nicht getan haben. Deswegen werde ich mich hier auch nicht weiter über die eigentliche Anklage auslassen. Hoffen wir, dass der Prozess zu einer gerechten Einschätzung seiner Taten und einem gerechten Urteil führt. Haben wir vertrauen in die Justiz.

Worüber wir uns jedoch Gedanken machen dürfen ist über die Art der Vorwürfe, die laut geworden sind und inwiefern dieses Verhalten psychopathologische Züge trägt: Niemand bezweifelt heutzutage mehr ernsthaft, dass die Vergewaltigung einer Frau ein Straftatbestand ist. An der Definition von sexuell übergriffigem Verhalten scheiden sich jedoch noch immer die Geister. Und zwar vor allem die der Männer.

In der Vergangenheit waren unsere Geschlechterbilder noch stark von der Unterteilung in ein schwaches und ein starkes Geschlecht bestimmt. Die Ursachen dieser patriarchalen Sichtweise liegt vor allem im Christentum begründet, das die Frauen ausschließlich auf ihre Möglichkeit reduziert Mutter zu werden. Frauen unterstanden den Männern und es gab eine Verfügungsgewalt über ihre Körper, je nachdem welche soziale Rolle eine Frau einnahm. So wurden Mädchen bzw. deren Jungfräulichkeit von ihren Familien geschützt. Durch die Heirat wurde die Rolle der schützenden Familie von einem Ehemann übernommen. Einerseits wurde eine Frau hierdurch weiterhin vor den Zugriffen anderer Männer geschützt, doch andererseits war sie bzw. ihr Körper ihrem Ehemann mehr oder weniger ausgeliefert. Hatte sie Glück war die Verbindung durch bleibenden liebevollen Respekt gekennzeichnet. Hatte die Frau Pech, sah der Ehemann den Körper seiner Frau als sein Eigentum an und die Sexualität wurde vor allem von diesem bestimmt und gestaltet um es einmal vorsichtig auszudrücken. Die Vergewaltigung und der Ehebruch wurden als ernstes Vergehen verstanden und nicht selten mit dem Tod bestraft. Vergewaltigung und Ehebruch verletzten einerseits die patriarchale Verfügungsgewalt des Ehemannes über den Körper seiner Frau. Wichtiger jedoch noch stellte ein solches Verbrechen die Sicherheit der Vaterschaft in Frage: Bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein galt der römische Rechtsgrundsatz: Nur die Mutter ist sicher. Um als Mann sicher zu sein, das mein Kinder wirklich von mir gezeugt werden, muss ich mir der sexuellen Treue meiner Ehefrau versichern. Ich schrecke also den außerehelichen Verkehr, ob freiwillig oder unfreiwillig durch drakonische Strafen ab.

Im Zuge der Emanzipationsbewegung seit den 1970er Jahren versuchte man neben vielem anderen auch das Recht auf die eigene Sexualität in der Ehe bzw. die Verfügung über den eigenen Körper neu zu regeln. Früh schon kam der Vorschlag auf neben der Straftat der Vergewaltigung auch den Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe, also durch den Ehemann einzuführen. Aus dem Entsetzen, den dieser Vorschlag im damals noch männlichen dominierten Justizwesen auslöste, können wir im Nachhinein zwei Erkenntnisse gewinnen: Erstens den, dass die sexuelle Verfügbarkeit von Frauen immer nur als ein Problem außerhalb der Ehe verstanden wurde und zweitens dass man dem Ehemann nicht nur die Verfügbarkeit über den Körper gestattet, sondern auch davon ausging, dass die eheliche Sexualität per Definition immer liebevoll und achtsam ist. Beide Vorstellungen sind selbstverständlich naiv und aus heutiger Sicht schüttelt man hierüber ungläubig den Kopf. Tatsächlich finden Vergewaltigungen ja vornehmlich im sozialen Nahbereich statt, also innerhalb der erweiterten Familien. Der böse Onkel vom Spielplatz ist also eher ein Mythos, der davon ablenkt, dass die eigentliche Gefahr von einem tatsächlichen Verwandten ausgeht. Die Familie stellt also keinen Schutz vor dem sexuellen Übergriff dar: Im Gegenteil: Im Schutz der Familie wurden sexuelle Übergriffe unsichtbar vor den Augen der Öffentlichkeit begangen und nach wie vor werden die Täter geschützt.

Kommen wir nun zur sexuellen Belästigung. Als problematisch erweist sich häufig die Bewertung der sexuellen Belästigung. Wo fängt sie an, wo hört sie auf?

Auch über sexuelle Belästigungen wurde früher weitgehend hinweggesehen. Der berühmte Klaps auf den Po der Sekretärin, andere Formen der Berührung oder anzügliche Bemerkungen wurden von Frauen früher am Arbeitsplatz meist hingenommen. Männer sind so, ändern kann man sie nicht. Die Frau, die sich gegen sexuelle Belästigungen wehrte, wurde als frigide oder bestenfalls unerfahren diffamiert, wobei letzteres das Interesse der Männer noch mehr weckte. Auch hier gilt: Der einzige Schutz vor sexueller Belästigung schien die Ehe zu sein.

Heutzutage reagiert man auf sexuelle Belästigungen weit weniger gelassen, wenn sich auch hier jedoch kulturelle Differenzen sehr deutlich zeigen lassen: Vor allem in Amerika reagiert man heutzutage sehr empfindlich auf sexistische und rassistische Übergriffe. Dieses grundsätzlich richtige Verhalten gemäß der so genannten „Political Correctness“ kann jedoch leicht auch hysterische Züge annehmen. Eine Frau nur zu lange anzusehen kann dem ungläubigen Nicht-Amerikaner bereits den Vorwurf der sexuellen Belästigung eintragen. Problematisch ist dieses vor allem deswegen, weil es keine allgemein verbindliche Definition der sexuellen Belästigung gibt. Dieser Umstand schwächt die Rechtssicherheit des Mannes außerordentlich, den der objektive Straftatbestand liegt in der subjektiven Betrachtung des Opfers.
Andererseits ist Amerika noch immer ein konservatives Land, was auch bedeutet, dass sich in den verantwortlichen Positionen von Kultur und Wirtschaft noch immer vornehmlich Männer befinden, die damit natürlich auch über Einstellung und Beförderung von Frauen so auch in der Filmindustrie entscheiden. Der kaum oder nicht zu beweisende Straftatbestand der sexuellen Belästigung schwebt als tatsächliche oder vermeintliche Drohung also immer im Raum. Versteht mich an dieser Stelle bitte nicht falsch. Es geht weder darum tatsächliche Opfer zu Tätern zu machen, noch eine Vergewaltigung als vergleichsweise harmlosere sexuelle Belästigung abzutun. Beides ist verabscheuungswürdig und sollte juristisch verfolgt werden.

Interessant werden diese Überlegungen im Fall Weinstein deswegen, weil doch auch ein Hollywoodproduzent die diesbezüglich angespannte Atmosphäre in seinem Land kennt und das Verbot der sexuellen Belästigung selbstverständlich auch. Wie konnte also es also zu der Fülle von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen kommen und warum blieb der Täter so lange unbehelligt. Tatsächlich fanden die Übergriffe Weinsteins wenn auch hinter verschlossenen Türe doch in aller Öffentlichkeit statt: jeder wusste es, doch niemand hat sich deswegen über Gebühr aufgeregt. Offenbar kommt hier das uralte Phänomen der stillschweigenden Männerbündelei zum Tragen: Für das starke und mächtige Alphatier gelten andere Regeln. Es muss sich nicht so vollkommen dem moralischen Gesetz unterstellen, wie andere Männer dieses tun müssen. Eine gewisse Verfügungsgewalt über Frauen wird ihm zugestanden. Die durch sein Interesse auf diese Weise geadelten Frauen sollten sich eher glücklich schätzen. Und so kommt es, dass sogar Straftaten gegen Frauen im Gespräch unter Männern häufig verharmlost werden: So spricht man in hilfloser Brutalität eben von der Besetzungscouch und nicht von Vergewaltigung. Natürlich wird es Frauen gegeben haben, die sich für eine Rollenzusage von Herrn Weinstein auch freiwillig auf diese Couch legten, doch man muss sich eben fragen, wo beginnt eigentlich die sexuelle Belästigung und letzten Endes die Vergewaltigung: Muss ein Mann wirklich gewaltsam Hand an den Körper einer Frau legen, oder genügt die bloße Tatsache, dass eine solche Couch überhaupt existiert. Natürlich immer gepaart mit dem Wissen, dass der Besitzer dieser Couch einen übergroßen Einflusses in der Filmindustrie hat und ich als angehende Schauspielerin von diesem abhängig bin.

Werfen wir nun einen Blick auf den Täter selbst.
Warum vergeht sich eigentlich ein einflussreicher Mann sexuell an so vielen Frauen?

Die Kriminologie weiß seit langem, das bei einer Vergewaltigung nicht der sexuelle Lustgewinn im Mittelpunkt steht, sondern das Gefühl Macht über einen anderen Menschen bzw. dessen Körper auszuüben. Das Spiel mit Macht und Dominanz kann auch im Rahmen einer freiwilligen sexuellen Beziehung durchaus genussvoll sein, darf aber auf keinen Fall hiermit verwechselt werden. Im Falle der Vergewaltigung und der fortgesetzten mehr oder weniger offenen sexuellen Belästigung paart sich die Lust an der Macht häufig mit einer bestimmten Kombination aus Persönlichkeitsmerkmalen, die man auch die dunkle Triade nennt.
Im Falle dieser dunklen Eigenschaften finden wir bei den Betroffenen Merkmale des Narzissmus, des Macchiavellismus und der Psychopathologie in jeweils unterschiedlicher Ausprägung. Die Merkmale für sich genommen erfüllen allerdings noch nicht das Störungsbild einer Persönlichkeitsstörung, so dass streng genommen kein Krankheitswert herrscht. Das aus diesen dunklen Eigenschaften resultierende Verhalten ist zwar gesellschaftlich nicht erwünscht, doch in bestimmten Berufsfeldern können sich diese Eigenschaft als ausgesprochen karrierefördernd erweisen. So weisen die Psychologen Jonaso, Teichner und Li in einem spanenden Aufsatz darauf hin, dass der fiktive Geheimagent James Bond die Merkmale einer dunklen Triade aufweist, die ihn beruflich jedoch gerade erfolgreich werden lassen und zumindest kein kleines Filmpublikum anziehen, das ihm hierbei zusieht.

Um welche genauen Eigenschaften handelt es sich aber nun?

Menschen mit diesen dunklen Eigenschaften könne nach dem Vorherrschen ihrer jeweiligen Strategien und Handlungsmotive in drei Gruppen eingeteilt werden:
Menschen, bei denen narzistische Persönlichkeitstyp vorherrscht, sehen im anderen Menschen bloße Bewunderer und Claqeure, sie sind der Meinung, dass sie oder ihr stets erfolgreiches Handeln ruhmvoll ist.

Der eher macchiavellistische Persönlichkeitstyp verfügt über wenig Empathie und verfolgt seine Ziele rücksichtslos, von Gefühlen läßt er sich dabei kaum beeinflussen. Er weiß zwar um die Einschränkungen seiner Person, aber er kennt auch die Werte und Normen der Gesellschaft und erfüllt sie, wenn es ihm opportun erscheint.
Dem psychopathischen Persönlichkeitstyp mangelt es noch mehr an Empathie, der Andere ist für ihn ein bloßes Objekt, in das er sich nicht hinein fühlen kann und will. Da er auch für die eigene Person kaum Empathie empfindet, kennt er keine Angst vor den Konsequenzen seiner häufig kriminellen Handlungen. Im Gegensatz zum machiavellistischen Typ ist er jedoch weniger rational und vor allem impulsiver.
Gemeinsam haben alle drei Persönlichkeitstypen der dunklen Triade, dass sie egoistisch ihre Ziele verfolgen und hierbei meist äußerst erfolgreich sind, entweder durch Manipulation oder den Einsatz von Gewaltmitteln. Der Egoismus ist so ausgeprägt, dass andere Menschen nicht als fühlende Wesen wahrgenommen werden können und deswegen als Mittel zum Zweck oder Hindernisse bei der Verfolgung dieser angesehen werden.
Wenn wir den Persönlichkeitstyp von Herrn Weinstein vor diesem Hintergrund einmal bestimmen wollen, hätten wir es dann ofenbar mit einer Mischung aus Macchiavellismus und Psychopathie zu tun: Für den Macchiavellismus sprechen die Tatsachen, dass Herr Weinstein offenbar die Regeln der Gesellschaft kennt, er aber gegenüber den Frauen, die er belästigt, wenig oder keine Empathie zeigt.

Als Filmproduzent besteht sein rücksichtslos verfolgtes Ziel natürlich darin erfolgreiche Filme zu machen, für die er die hollywoodtypischen Frauen benötigt, so gesehen handelt er bei den sexuellen Übergrifflichkeiten gegen seine Interessen. Hinzu kommt also die für die Psychopathologie typische Impulsivität, wir können davon ausgehen, dass die Übergriffe nicht geplant sind, sondern mehr oder weniger spontan stattfinden. Obwohl er die Regeln und Normen der Gesellschaft kennt respektiert er sie nicht, auch wenn die Übergriffe offenbar meist hinter verschlossenen Türen stattfanden.


Die offene Frage bleibt natürlich, ob Herr Weinstein auf der Basis einer solchen Diagnose als krank und damit als zumindest eingeschränkt schuldfähig zu bezeichnen wäre. Die Fachliteratur bleibt in diesem Zusammenhang leider etwas vage. Einerseits erfüllen die Persönlichkeitsmerkmale der dunklen Triade noch nicht die vollständigen Symptome einer Persönlichkeitsstörung. Andererseits wäre auch dann fraglich, inwiefern diese als krank zu bezeichnen sind. Ist eine charakterliche Abweichung, auch wenn uns diese Abweichung nicht gefällt bereits eine Krankheit? Zudem gelten die in der Icd-10 unter F6 aufgeführten so genannten Persönlichkeitsstörungen mit Ausnahme der Borderline-Störung als nicht therapierbar, man muss sie eher als so etwas wie ein Schicksal verstehen. Wie zu Anfang bereits gesagt, verbiete es sich sowohl eine Ferndiagnose zu stellen, als einen laufenden Strafprozess unqualifiziert zu kommentieren, weswegen wir über die Schuldfrage in diesem Zusammenhang schweigen sollten. Dieses ist Sache des Gerichtes.


Für den angehenden Heilpraktiker Psychotherapie ist die Beschäftigung mit den Persönlichkeitsstörungen jedoch doppelt wichtig: zum einen sind sie ein beliebter Gegenstand vor allem in der schriftlichen Prüfung und zum anderen sind diese Persönlichkeitsstile, wie man sie auch nennt, nicht selten, so dass die Wahrscheinlichkeit groß ist in eurem Leben als Therapeutin oder Therapeut einmal einem so Betroffenen zu begegnen.

Ich hoffe ich konnte Euch einige neue Informationen und Ideen zu unserem Thema vermitteln. Tut ihr mir einen Gefallen? Abonniert meinen Podcast, vielen Dank. Und wenn ihr jemanden kennt, den dieser Podcast interessieren könnte – empfehlt mich gerne weiter. Ich würde mich freuen.
In diesem Sinne komme ich zum Ende. Wenn Ihr wollt, hören wir uns nächsten Woche wieder, dann mit einer neuen Sendung rund um den Heilpraktiker Psychotherapie und die Vorbereitung zur Prüfung
vor dem Gesundheitsamt.

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