Hypnose und Schlafwandeln

Da die Nächte kühler und dunkler werden, der Mond bleich am Himmel steht und wir mehr Zeit im warmen Bett verbringen, möchte ich mich auf Wunsch eines Hörers heute mit dem Thema Hypnose und Schlafwandeln beschäftigen.

Fangen wir erstmal mit dem Schlafwandeln an:
Von jeher hat das Schlafwandeln oder — auch Mondsucht genannt — die Menschen fasziniert. Warum eigentlich?
Wahrscheinlich weil Schlaf eine eher passive Beschäftigung ist, bei der wir ruhig im Bett liegen und keine Kontrolle über unseren Körper zu haben scheinen. Das Bewusstsein ist ausgeschaltet oder befindet sich an einem anderen Ort, wie manche Menschen glauben.
Der wache Zustand hingegen ist das genaue Gegenteil des Schlafes: das Bewusstsein ist anwesend oder eingeschaltet und kontrolliert den Körper, wir können frei handeln. Doch leider ist der Mensch dann doch nicht so einfach gebaut.

Was also verbirgt sich hinter dem Schlafwandeln?
Die ICD-10 kodiert das Schlafwandeln oder den Somnambulismus unter F51.3. Sie beschreibt das Schlafwandeln als ein herabgesetztes Bewusstsein — als eine veränderte Bewusstseinslage zwischen Schlaf und Wachen. Konkret bedeutet es, dass die Reaktivität und die Geschicklichkeit der Betroffenen herabgesetzt sind.

Schlafwandelnde können sich entgegen der landläufigen Meinung also durchaus verletzen, beispielsweise indem sie beim Versuch ein fremdes Hochbett zu verlassen, von dort abstürzen.
Doch auch Treppen und andere Hindernisse können zu gefährlichen Fallen werden.

Zumeist wird beim Schlafwandeln das Bett zwei oder dreimal während einer Nacht verlassen, meistens während des ersten Drittels des Schlafes: Die Schlafwandelnden gehen dann einige Minuten bis eine halbe Stunde herum.

Die erste Begegnung mit einem Schlafwandelnden kann ausgesprochen erschreckend sein:

  • Die Augen sind weit geöffnet, starren jedoch leblos in die Ferne.
  • Das Gesicht zeigt keine Mimik und
  • die Betroffenen zeigen keine oder nur ganz wenige Reaktionen auf den Kontaktversuche hin.

Eventuell antworten sie auf direkte Ansprache, doch dann einsilbig und undeutlich. Verzichtet man darauf den Schlafwandelnden vorsichtig in sein Bett zurückzuführen, kann er oder sie durchaus komplexe Handlungen verrichten: Zum Beispiel Schränke einräumen, das Haus verlassen oder ein wenig spazieren zu gehen.

Manche scheinen Hunger zu verspüren und nehmen ganze Mahlzeiten zu sich, die sie sogar selber zubereiten. Bizarrerweise benutzen manche sogar das eigene Auto für nächtlich Ausflüge.

Trotz aller Aktivität finden die Betroffenen fast immer wieder selber zurück in ihr Bett und erwachen mit einer Amnesie an die nächtliche Tätigkeit. Man kann also jahrelang Schlafwandeln, ohne dass es jemandem zwingend auffallen muss.

Erschrocken?
So ungewöhnlich das Schlafwandeln auch wirken mag, die meisten Experten sind sich darüber einig, dass Schlafwandelnde ungefährlich sind. Ihre durchaus komplexen Verhaltensweisen gefährden niemanden außer eventuell sie selbst.

Eine wenig bekannte und eher seltene Form des Somnambulismus wird als Sexsomnia bezeichnet. Sie wird in die Gruppe der Parasomnien mit sexuellen Auffälligkeiten eingeordnet und mit F51.8 kodiert.
Hierbei sind die Betroffenen ebenfalls scheinbar wach und masturbieren im Schlaf oder führen in Anwesenheit einer weiteren Person den Geschlechtsverkehr aus.
Dabei sind sie jedoch keinesfalls wach und können sich nach dem Aufwachen zumeist auch nicht an ihre sexuellen Handlungen erinnern.

Deutlich unterschieden werden muss der Somnambulismus und die Sexsomnia jedoch von der so genannten REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD), auch bekannt als Schenck-Syndrom. Im Gegensatz zum Schlafwandeln tritt diese Schlafstörung allerdings nur in der zweiten Nachthälfte, also während den REM-Phasen auf.

Die Betroffenen leiden dabei unter massiven Alpträumen. In diesen Alpträumen werden sie selbst oder ihre Angehörigen angegriffen oder gejagt, wodurch sie sich in einem andauernden und anstrengenden Verteidigungskampf befinden.

Die Betroffenen schlagen im Schlaf um sich, sie treten, beißen oder kratzen. Zu Fremdverletzungen kann es dann kommen, wenn man versucht die Betroffenen zu wecken. Nach dem Erwachen erinnern sich die Betroffenen zwar an den Traum selbst, nicht jedoch an ihre körperlichen Reaktionen im Schlaf.

Das Schenck-Syndrom ist jedoch nicht nur wegen einer möglichen Fremdgefährdung ein ernst zunehmendes Thema, sondern vor allem weil es ein erstes Anzeichen einer neurodegenerativen Erkrankung sein kann.

Für den Heilpraktiker Psychotherapie bedeutet es, dass während der Anamnese die Schlafgewohnheiten der Patienten genau und differenziert erfragt werden müssen. Wichtig dabei: Besteht der Verdacht auf ein Schenck-Syndrom muss den Patienten sofort ein Besuch beim Facharzt, z.B. bei einem Neurologen, angeraten werden.

Aus der Vermischung des geheimnisvollen Schlafwandelns, der Sexsomnia und den scheinbar unbegründet aggressiven Reaktionen des Schenk-Syndroms hat sich im allgemeinen Bewusstsein vermutlich das Bild des unberechenbaren und mordenden Schlafwandelndens entwickelt, der uns bis heute in Gruselfilmen und Gruselgeschichten immer wieder begegnet.
Wer sich für dafür interessiert, dem möchte ich Edgar Allan Poes Erzählung „Der Untergang des Hauses Usher“ wärmstens empfehlen — wenn auch nicht unbedingt als Bettlektüre.

Obwohl der Zustand des Schlafwandelns aus ungeklärten Ursachen spontan auftritt, kann ein solcher Bewusstseinszustand auch durch einen äußeren, suggestiven Einfluss bewußt eingeleitet werden. Das nennt man dann Hypnose.
Die Hypnose hat eine wechselvolle und faszinierende Geschichte, deren Anfänge in den 1780er Jahren liegen. Zu Beginn wurde die Hypnose sogar als provozierter Somnambulismus bezeichnet.

Schauen wir uns die Geschichte der Hypnose einmal etwas genauer an:
Es begann mit dem deutschen Arzt Franz Anton Mesmer, der den nach ihm benannten Mesmerismus begründete. Dieser beruhte auf der Vorstellung eines tierischen Magnetismus, der als unsichtbare Kraft unmittelbar auf das Nervensystem von Menschen wirken sollte.

Im Falle einer nervlich bedingten Erkrankung — beispielsweise Schlafstörungen — sollte ein entsprechend begabter Arzt helfen können: Er sollte magnetische Heilströme durch Handauflegen auf den Patienten übertragen und auf diese Weise das Nervensystem positiv beeinflussen.
Sollten in einer Gruppentherapie gleich mehrere Menschen geheilt werden, so wurden Eisenstäbe magnetisiert und als eine Art Verstärker für den tierischen Magnetismus im gesamten Raum verwendet. Nach einer Weile erkannte man, dass der Einfluss von Mesmers Heilversuchen weniger auf einem tierischen Magnetismus beruhte, sondern eher auf den suggestiven Fähigkeiten des Behandlers. Diese Erkenntnis war die Geburtsstunde der gezielten, rein hypnotischen Behandlung.

Die Begriffe Suggestion und Hypnose wurden erst knapp fünfzig Jahre später in England durch den Chirurgen James Braid geprägt. Denn tatsächlich wurde das Verfahren zunächst angewendet um schmerzlos operieren zu können.
Wir erinnern uns: in der ersten Hälfte des 19ten Jahrhunderts standen noch keine Schmerzmittel zur Verfügung. Wenn sie gewirkt haben sollte, wäre die Hypnose ein Segen gewesen.
Nach ihrer eher intuitiven Anwendung in der Chirurgie, begann sich in der zweiten Hälfte des 19ten Jahrhunderts die Neurologie mit dem Thema zu beschäftigen. Der französische Neurologe Jean-Marie Charcot — übrigens Sigmund Freuds Lehrer — wandte die Hypnose schließlich zum ersten mal bei der Behandlung so genannter nervöser Erkrankungen an.

Charcots Behandlungen fanden recht öffentlich, zumeist in Anwesenheit einer großen Anzahl von Ärzten und Studenten statt. Dieses Interesse war vermutlich nicht nur ein medizinisches Interesse. Es spielte bestimmt auch eine voyeuristische Neugierde eine Rolle, denn die Hypnose war damals auch als Jahrmarktattraktion verbreitet.

Gerade hier verschwammen die bereits beschriebenen unterschiedlichen Vorstellungen über den Somnambulismus und die Hypnose: die Nähe zum Mond und zum Magnetismus führten zu der Vorstellung, dass die Betroffenen hellseherische Kräfte hätten.
Die Nähe zu Schlaf und dadurch Intimität, führte zu der Annahme, dass die Hypnotisierten die geheimsten Wünsche ihres Publikums kennen könnten. Und die potentielle Gewaltätigkeit des Schenck-Syndroms führte zu der irrigen Annahme, dass ein Hypnotisierter der perfekte Verbrecher wäre. Von einem finsteren Hypnotiseur zum Töten und anderen Verbrechen gewissermaßen programmierbar.

Speziell die letzteren Vorstellungen sind als Motive in der Gruselliteratur des 19ten Jahrhunderts direkt oder indirekt weit verbreitet. Ist nicht Dracula auch ein Verbrecher, der in einem tiefen Schlaf liegt und mit starren Augen schlimmste Verbrechen verübt?
Und erwacht nicht auch Frankensteins Kreatur aus dem Schlaf und wird zum steuerbaren Verbrecher wieder Willen?
Um nur die beiden berühmtesten Geschichten zu nennen.

Doch zurück zur Medizin: Freud systematisierte die Hypnose in den folgenden Jahren und machte das Verfahren weithin bekannt. Auf den Arbeiten und Erkenntnissen Freuds und Charcots basiert das noch immer verbreitete und wissenschaftlich anerkannte Verfahren der Hypnotherapie, welches von Milton Erikson schließlich ausgearbeitet wurde.

Die moderne Hypnotherapie wird erfolgreich bei Bronchialasthma, Ess- und Schlafstörungen, Bluthochdruck und in der Schmerztherapie eingesetzt. Das Verfahren kann auch von Heilpraktikern erlernt und im Rahmen der eignen Praxis angeboten werden.

Für den Heilpraktiker Psychotherapie ist die Beschäftigung mit Schlafstörungen und Entspannungstechniken nicht nur für die Prüfung vor dem Gesundheitsamt wichtig, sondern wie im Falle der Diagnose des Schenck-Syndroms bereits erwähnt, auch für seine alltägliche Praxis.
Viele weitere psychischer Erkrankungen zeigen als Symptom Schlafstörungen oder das Phänomen der Umkehrung des Tag-Nacht-Rhythmus.
Besonders bekannt sind die Schlafstörungen als morgendliches Früherwachen bei depressiven Episoden: Hierbei erwacht der oder die Betroffene etwa drei Stunden zu früh. Also gerne gegen vier Uhr morgens.
Die Betroffenen sind zwar erschöpft, finden aber trotzdem keinen Schlaf mehr. Im Falle einer manischen Erkrankung oder einer manischen Phase im Krankheitsverlauf einer Bipolaren Störung ist der Schlaf ebenfalls gestört. Die Nächte werden durchgemacht bis zum Schlaf der Erschöpfung. Im Rahmen der Anamnese sollten die Schlafgewohnheiten also immer erfragt werden. Sie können wertvolle Hinweise liefern.

Ein letztes Wort zur Schlafhygiene: Auch im klinischen Sinne gesunde Menschen können zu Schlafstörungen neigen, wenn sie bestimmten Stressoren ausgesetzt sind.
In einem solchen Fall sollten schlafhygienische Maßnahmen empfohlen werden.
Zu diesen Maßnahmen gehören

  • frische, nikotinfreie Luft
  • eine Raumtemperatur von 16 bis 18 Grad und
  • eine auf Körpergröße und -gewicht abgestimmte Matratze.

Ebenso sollte auf Alkohol als durchschlafförderndes Mittel verzichtet werden. Zwar wirkt Alkohol in einer gewissen Menge durchaus schlafanstoßend, aber der Schlaf ist unruhig, von häufigen Toilettenbesuchen unterbrochen und wenig erholsam.
Die in unseren Zeiten vielleicht wichtigste Maßnahme ist jedoch die Verbannung des Fernsehers und sonstiger Bildschirme aus dem Schlafzimmer: Einmal abgesehen davon, dass die Anwesenheit des Fernsehers ein befriedigendes Sexualleben erschwert, versetzt das bläulich-weiße Licht den Körper gewissermaßen in den Wachzustand. Es gefährdet dadurch das Ein- und das Durchschlafen.
Also Hände weg von Handies oder Tablets kurz vor dem Schlafen gehen. Greift lieber zum guten alten Buch, doch wie gesagt nicht unbedingt zu denen von Edgar Allan Poe.

Ich hoffe ich konnte Euch einige neue Informationen und Ideen zu unserem Thema vermitteln. Tut ihr mir einen Gefallen? Abonniert meinen Podcast, vielen Dank. Und wenn ihr jemanden kennt, den dieser Podcast interessieren könnte — empfehlt mich gerne weiter. Ich würde mich freuen.
In diesem Sinne komme ich zum Ende. Wenn Ihr wollt, hören wir uns nächsten Woche wieder. Dann rund um das Thema Ess-Störungen.

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