ICD-10

Cover Folge 007

Da einige von Euch wahrscheinlich die Zulassung zum Heilpraktiker Psychotherapie bekommen möchten, geht es heute um ein besonders prüfungsrelevantes Thema — nämlich um die ICD-10

Genauer gesagt: was hat es eigentlich mit der ICD-10 auf sich? Wird es irgendwann eine ICD-11 geben? Und gibt es noch andere Klassifizierungssysteme für psychische Störungen und Erkrankungen?

Denn darum geht es in der ICD-10: psychische Erkrankungen systematisch zu ordnen.

Der Versuch psychische Erkrankungen genau auseinander zu halten und zu klassifizieren ist eine verhältnismäßig neue Erscheinung.
Früher war eine solche Einteilung unnötig oder sie schien zumindest unnötig zu sein. Denn es gab sowieso keine Therapien, Medikamente oder Behandlungen. Und daher erschien eine genaue Diagnose überflüssig zu sein.
Andererseits umgaben die so genannten Wahnsinnigen oder Irren noch immer die Aura des Geheimnisvollen oder sogar des Bösen. 

Erst im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts entwickele sich ein gewisses Interesse an psychischen Auffälligkeiten oder Entwicklungsverzögerungen bei Kindern, wie im Falle der berühmten Wolfskinder.
In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhundert bemüht sich der Psychiater Emil Kraepelin zum ersten Mal um eine systematische Beschreibung der psychischen Störungen. Mit seinem Buch aus dem Jahr 1892 legt er den Grundstein für die Psychoparmakologie, die sich ab den 1930er Jahren entwickelt.

Kurt Schneider und Karl Jaspers erweiterten die Untersuchungen Emil Kraepelins. Auf dieser Basis entstand schließlich das so genannte triadische System der Klassifizierung psychischer Erkrankungen.

In der modernen Beschreibung psychischer Erkrankungen spielt das triadische System keine große Rolle mehr. Allerdings gehört es noch immer zum Prüfungsstoff vor dem Gesundheitsamt. Daher lohnt es sich auf jeden Fall, die Einteilung Kraepelins und Schneiders etwas genauer anzusehen:

Grundsätzlich unterteilt das triadische System die Erkrankungen nach ihrer vermuteten Ursache. Wie der Name bereits andeutet, wird zwischen drei Gruppen von Krankheiten unterschieden:

  • den exogenen psychischen Störungen, die eine körperliche Ursache haben
  • den endogenen psychischen Störungen, bei denen eine körperliche Ursache vermutet wird und
  • den psychogenen Erkrankungen, die eine psychische Ursache haben.

Schauen wir uns diese drei Gruppen etwas genauer an:

Die erste Gruppe der Exogenen Psychischen Störungen haben eine klar erkennbare körperliche Ursache. 
Diese körperliche Ursache betrifft direkt oder mittelbar das Gehirn bzw. das Nervensystem. Krankheiten der ersten Gruppe sind alle Demenzen und deliranten Erkrankungen, die entweder dauerhaft oder vorübergehend sein können. 
Hierzu gehören auch Vergiftungen durch Alkohol, oder andere Substanzen, sowie Erkrankungen des Nervensystems durch Viren, Bakterien oder Prionen.

Die zweite Gruppe der Endogenen Psychischen Störungen beinhaltet Krankheiten, bei denen eine eindeutige körperliche Ursache nicht nachgewiesen kann, aber vermutet wird. 

In diese Gruppe werden

  • die Schizophrenien
  • die Manisch-depressiven Erkrankungen
  • die schizoaffektiven und
  • die wahnhaften Erkrankungen gezählt.

Bei den Erkrankungen der dritten Gruppe geht man von einer rein psychischen Ursache aus. Zu dieser dritten Gruppe der psychogenen Erkrankungen gehören zB

  • die Persönlichkeitsstörungen
  • die Psychopathien
  • die Suchterkrankungen im weitesten Sinn
  • die Sexualstörungen
  • die Ess-Störungen und
  • die Schlafstörungen

Die endogenen Erkrankungen der zweiten Gruppe nehmen also eine mittlere Position zwischen den rein körperlich verursachten Erkrankungen der ersten Gruppe und den nur psychisch verursachten Erkrankungen der dritten Gruppe ein.

Problematisch an der triadischen Einteilung ist die Definition der endogenen Erkrankungen, also der mittleren Gruppe.

So kann z.B. durch bildgebende Verfahren oder zytologische und mikrobakterielle Untersuchungen gezeigt werden, dass es bei psychisch Erkrankten körperliche Veränderungen des Nervensystems gibt. 
Auch die Konzentration von Neurotransmittern ist bei diesen Menschen verändert. Mehr noch: nimmt man durch Medikamente Einfluss auf diese Botenstoffe, so verbessern sich diese Erkrankungen.

Im Gegensatz dazu gibt es auf den ersten Blick auch rein psychogene Erkrankungen, also solche, die das triadische System als rein psychisch verursacht einordnet.
Ein Beispiel wäre eine so genannte reaktive Depression. Nehmen wir als Beispiel einen Mann, der nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben starke depressive Symptome entwickelt. So etwas wird gerne auch Rentendepression genannt.

Schauen wir uns die neuen Lebensumstände dieses Mannes genauer an:

  • Der Wegfall der sozialen Kontakte am Arbeitsplatz,
  • die zunächst fehlende Tagesstruktur nach dem Renteneintritt und
  • nicht zuletzt auch das Gefühl nicht mehr zu wissen, wie man sinnvoll mit seiner Zeit umgehen kann.

Die depressiven Symptome, die ein solcher Mann als Reaktion entwickeln kann, sind im Sinne des triadischen System als psychogen zu bezeichnen, also als psychisch verursacht und damit zur dritten Gruppe gehörend.

Andererseits entwickelt nicht jeder Rentner eine Depression. Es kommt also auch auf die Veranlagung eines Menschen an, ob er erkrankt oder nicht. Folglich müsste diese Erkrankung in die zweite Gruppe einsortiert werden.

Seit etwa den 1980er Jahren hat man das triadische System mit seiner sehr starren Einteilung mehr und mehr aufgegeben.
Zug um Zug hat sich seitdem das so genannte multifaktorielle Erklärungsmodell der Krankheitsentstehung durchgesetzt. 

Dieses geht davon aus, dass die psychischen Erkrankungen immer durch die Kombination verschiedener Faktoren bestimmt werden. Hierzu gehören z.B.

  • individuelle genetische Faktoren
  • familiäre genetische Faktoren
  • die Erziehung und der Kommunikationsstil in der Familie
  • der Lebensstil selbst
  • der Umgang mit Stress und
  • der Grad der individuellen Resillienz.

Die Psychotherapie kann bei solchen Erkrankungen wertvolle Hilfe und Betreuung leisten.

Schauen wir uns in diesem Zusammenhang noch einmal die erste Gruppe der exogenen Erkrankungen mit rein körperlichen Ursachen an. Es gibt in dieser Gruppe objektive Krankheitsursachen. Und die Erkrankungen sind zum Teil gut medikamentös zu behandeln. Doch trotzdem wird der Verlauf und die Schwere der Erkrankung multifaktoriell beeinflußt. 
Das heißt konkret: auch hier ist eine psychotherapeutische Betreuung sinnvoll, auch wenn dadurch die Ursache der Krankheit nicht behandelt wird.

Auch wenn das triadische System heute keine große Bedeutung mehr hat, sollte es einem Heilpraktiker Psychotherapie jedoch gut bekannt sein. Denn einerseits stellt es eine gute Grundlage für das Erlernen des Stoffes dar. Und andererseits denken viel Ärztinnen und Ärzte noch immer in den Kategorien des Triadischen Systems und verwenden die entsprechenden Fachbegriffe im Prüfungsgespräch.

Wenn das triadische System eine gute Grundlage ist, dann fragt ihr euch vielleicht: „Eine gute Grundlage wofür?“
Gute Frage — schauen wir uns mal die Antwort dazu an: Habt ihr euch während eurer letzte Grippe schon einmal über die unverständlichen Zahlen und Buchstaben auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gewundert, die euch euer Hausarzt mitgegeben hat? 

Mit dieser Buchstaben-/Zahlenkombination hat euer Arzt eure Krankheit codiert.
Im Jahre 1991 wurde nämlich von der Weltgesundheitsorganisation WHO die sogenannte ICD eingeführt. Diese Abkürzung steht für „International Classification of Deseases“, also die internationale Klassifikation von Krankheiten.

In der ICD werden sämtliche körperlichen und psychischen Erkrankungen in einem System aus Buchstaben und Zahlen eingeordnet. Jede Kombination aus Buchstaben und Zahlen steht also für eine Erkrankung.

Die Einordnung erfolgt aber nicht wie beim triadischen System nach der Krankheitsentstehung, sondern nach den erkennbaren und klar beschreibbaren Symptomen.

Diese Standardisierung der Krankheiten soll den Austausch zwischen Medizinern, Pharmazeuten und der medizinischen Forschung fördern. Mittlerweile bildet diese Kodierung auch die Grundlage für die Abrechnungssysteme mit den Krankenkassen.

Von Zeit zu Zeit wird die ICD überarbeitet und den aktuellen Entwicklungen angepaßt. Momentan liegt die ICD in ihrer 10. Bearbeitung vor — daher wird sie ICD-10 genannt. Zusätzlich gibt es für Deutschland eine leichte Änderungen, die mit GM für „German Modification“ abgekürzt werden. Für Deutschland gilt also momentan die ICD-10-GM.

Die elfte Erweiterung liegt aber bereits vor. Im Januar 2022 wird sie in Kraft treten. Ab dann gilt für Deutschland also die ICD-11-GM.

Die Kenntnis der ICD ist wichtig und ist Stoff der Überprüfung durch das Gesundheitsamt. Das bedeutet jedoch nicht, dass Ihr sämtliche Zahlen und Buchstabencodes auswendig lernen müsst, aber ein grober Überblick der Haupteinteilungen ist dabei schon von Vorteil.

Aber zurück zum Thema — Schauen wir uns das System der ICD einmal genauer an:
Die ICD Kürzel bestehen jeweils aus einem Großbuchstaben mit Zahlen dahinter, von denen durch Punkt andere Zahlen abgetrennt werden. Ein typisches Kürzel lautet z.B.: F4 4.3
Hierbei steht das F für den Bereich der psychischen Erkrankungen. Das ist der Bereich, der uns Heilpraktiker Psychotherapie besonders interessiert.

Die erste 4 bezeichnet den Bereich der Neurotischen Störungen.
Die zweite 4 steht für die besondere Art der neurotischen Störung, in diesem Fall die dissoziative Störung. Und die mit einem Punkt abgetrennte 3 bezeichnet die dritte von mehreren Arten der dissoziativen Störungen, in diesem Fall den Dissoziativen Trance- und Besessenheitszustand.  Glaubt mir, wenn man die Systematik erst einmal verstanden hat, ist es garnicht mehr so kompliziert.

Werfen wir also einen genaueren Blick auf diese Systematik:
Für die Heilpraktiker Psychotherapie ist also nur das Kapitel F wichtig, das ist die gute Nachricht.  Der Buchstabe F ist in zehn Gruppen unterteilt, die von 0 bis neun nummeriert sind.  Sie lauten dementsprechend F0, F1, F2 usw. bis F9. 

Auf den ersten Blick scheint die Zuordnung der Krankheiten dem triadischen Systems zu folgen. Leider wird diese Anordnung nicht konsequent durchgehalten: An erster Stelle unter F0 finden sich tatsächlich die organisch bedingten psychischen Störungen. Unter F1 die psychischen Erkrankungen durch Vergiftungen und psychotrope Substanzen, wie Alkohol und andere Drogen, so gesehen also die exogenen Psychosen. 

Unter F2 finden sich die Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis.
Unter F3 die Affektiven Störungen, wie Depression und Manien, die man tatsächlich dem endogenen, zweiten Bereich des triadischen Systems, zuordnen würde. 
Unter F4 finden sich die oben erwähnten Neurotischen Störungen und F5 beschreibt die Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen, also u.a. Essstörungen und Sexualstörungen. 

Unter F6 finden sich die auch oben bereits erwähnten Persönlichkeitsstörungen oder Charakterneurosen.

Das Kapitel F7 beschreibt nur die Intelligenzminderungen, was ätiologisch eher in den exogenen oder endogenen Bereich fallen würde.
F8 bringt Ordnung in das Gebiet der Entwicklungsstörungen, wie z.B. der Autismusspektumsstörung und F9 schließlich beinhaltet Verhaltensstörungen mit Beginn in Kindheit und Jugend.

Wie gesagt einen groben Überblick über die Anordnung sollte man sich auf jeden Fall verschaffen, zum Beispiel durch die gängigen Lehrbücher zum Thema Heilpraktiker Psychotherapie.

Falls ihr euch jetzt fragt, welche Themen in den schriftlichen Prüfungen besonders häufig bzw. besonders selten abgefragt werden — seid vorsichtig! Was bisher noch nie abgefragt wurde, kann genau in eurer Prüfung vorkommen. Es gibt keine Garantien und seriösen Vorhersagen. Hört euch lieber nochmal meinen Podcast zum Thema Lerntechniken an : )

Wie erwähnt wird die ICD-10 Anfang 2022 offiziell durch die ICD-11 ersetzt werden. Auch wenn mir die ICD-11 im Moment noch nicht vorliegt, so kann man jedoch vermuten, dass sich die wesentlichen Änderungen im Kapitel F.52 finden lassen werden.

Also im Bereich der sexuellen Störungen, da sich das gesellschaftliche Klima in den letzten Jahren doch so sehr gewandelt hat, dass man vielen Sexuellen Erscheinungen in Zukunft keinen Krankheitswert mehr zu ordnen wird. 
Über das faszinierende Thema was eine Gesellschaft für krank und was für gesund hält, werde ich in nächster Zeit einen eigenen Podcast gestalten.

Für Eure spätere Praxis ist die Kenntnis der ICD-10 oder dann 11 zwar am wichtigsten, doch möchte ich Euch zum Schluss auch noch einmal auf eine weitere Systematik aufmerksam machen. Und zwar auf die DSM-römisch fünf. Diese Systematik spielt zwar für eure Prüfung keine Rolle, rundet aber die verschiedenen Systematiken der Erkrankungen gut ab. 

DSM-V steht für „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ und wird in den USA seit den 50er Jahren zur Klassifizierung von psychischen Störungen und Erkrankungen verwendet. In Deutschland spielt es eher in der Forschung eine Rolle.

Die DSM ist detailgenauer und ihre Diagnosen basieren auf einem spezifischen, so genannten „mehr-achsialen“ System. 
Es beschreibt nicht nur die gegenwärtigen Symptome, sondern berücksichtigt auch die Geschichte der individuellen Erkrankung und deren psychosozialen Folgen. 

Hieraus folgt auch, dass bestimmte Erkrankungen anders verstanden werden und dementsprechend eine andere systematische Einordnung erfolgt, als in der ICD. 
Die Details sind in diesem Zusammenhang weniger interessant, aber ich möchte Euch doch einladen, Euch nach bestandener Prüfung zum Heilpraktiker Psychotherapie einmal mit der DSM zu beschäftigen. Es lohnt sich.

Ich hoffe ich konnte Euch einige neue Informationen und Ideen zu unserem Thema vermitteln. Tut ihr mir einen Gefallen? Abonniert meinen Podcast, vielen Dank. Und wenn ihr jemanden kennt, den dieser Podcast interessieren könnte — empfehlt mich gerne weiter. Ich würde mich freuen.

In diesem Sinne komme ich zum Ende. Wenn Ihr wollt, hören wir uns nächsten Woche wieder. Dann rund um das spannende Thema Hypnose und Schlafwandeln. 

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